Zusammenfassung der wissenschaftlichen Ergebnisse zur Dissertation
Bestimmung klimarelevanter Parameter des maritimen Aerosols unter besonderer Berücksichtigung der Nichtkugelform realer Aerosolteilchen
der Fakultät Physik und Geowissenschaften
der Universität Leipzig
eingereicht von
Dipl.-Phys. Peter Posse
angefertigt am
Institut für Meteorologie der Universität Leipzig
Januar 1997
Ziel und Problemsituation
1. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der experimentellen Bestimmung klimarelevanter optischer Aerosolparameter sowie der Quantifizierung des direkten Klimaeffekts von Aerosolen anhand der Untersuchung von Strahlungsbilanzänderungen. Das Hauptaugenmerk gilt dabei maritimen Aerosolen sowie daran zu beobachtenden Effekten nichtkugelförmiger Partikel.
Zahlreiche Untersuchungen, wie z.B.Lacis & Mishchenko (1995) verdeutlichen, welch differenzierte Wirksamkeit dem atmosphärischen Aerosol und dabei insbesondere seinem Einfluß auf die Strahlungsbilanz zukommt. Dieser setzt sich hauptsächlich aus dem direkten Effekt auf die Strahlungsbilanz (Reflexion des Sonnenlichtes in den Weltraum sowie Streuung und Absorption in der Atmosphäre) und dem indirekten Effekt infolge der Beeinflussung von Wolkeneigenschaften und Wechselwirkung mit Spurenstoffen zusammen. Bisherige Ergebnisse weisen noch einen sehr großen Unsicherheitsbereich selbst für den direkten Effekt der Aerosole auf.
Insofern stellt die Quantifizierung von Wirkungen der Aerosole im Klimasystem, sowohl der natürlichen als auch der anthropogenen Aerosole, des direkten wie auch des indirekten Einflusses auf die Strahlungsbilanz des Erde-Atmosphäre-Systems eine aktuelle Aufgabe der gegenwärtigen Klimaforschung dar. Hauptziel vorliegender Arbeit ist die Untersuchung des direkten Effekts maritimer Aerosole auf die Strahlungsbilanz auf der Grundlage experimentell bestimmter Aerosoleigenschaften.
Wissenschaftliche Voraussetzungen und Methoden
2. Die Strahlungstransfergleichung besitzt einen zentralen Stellenwert sowohl in der Klimaforschung als auch für die Atmosphärenkorrektur bei verschiedensten Fernerkundungsmethoden und zur Analyse des atmosphärischen Umweltzustandes. Sie benötigt Angaben über die optischen Eigenschaften der Atmosphäre, die durch deren Bestandteile bestimmt werden. Aerosole sind ein wichtiger Atmosphärenbestandteil. Ihre Eigenschaften sowie ihre hohe räumli che und zeitliche Variabilität sind bisher nur unzureichend bekannt. Die Strahlungswirkung der Aerosole und damit ihr direkter klimatischer Effekt ist primär durch die physikalischen Eigen schaften bestimmt. Wichtige klimarelevante Parameter sind dabei die Aerosolgrößenverteilung (AGV) dN(r)/dlogr, die Teilchenform, der komplexe Brechungsindex m sowie die daraus resultierenden optischen Eigenschaften wie die spektrale optische Dicke des Aerosols A( ), die Aerosolphasenfunktion pA( ), die Einfachstreualbedo 0 und der Asymmetrieparameter g.
3. Kombinierte Messungen der optischen Dicke des Aerosols im Spektralbereich von 350 nm bis 1200 nm, des Streulichtes im Aureolenbereich von 3 bis 12 Streuwinkel sowie der Himmelshelligkeitsverteilung im Almukantar bei geringen Sonnenhöhen bieten zusammen mit dem gekoppelten Inversions-Strahlungstransfer-Programm CIRATRA (Coupled Inversion Radiation Transfer) Wendisch & von Hoyningen-Huene, 1994;von Hoyningen-Huene & Posse, 1996) eine Möglichkeit zur Bestimmung dieser wesentlichen klimarelevanten Aerosolparameter mit Ausnahme der Absorption. Durch Hinzunahme von Strahlungsflußmessungen ist ebenfalls eine Abschätzung der Einfachstreualbedo und damit der Absorption möglich.
4. In CIRATRA wird zunächst für einen vorgegebenen Brechungsindex eine diskrete AGV aus den Daten der spektralen optischen Dicke und des Aureolenstreulichtes invertiert. Die erhaltene AGV dient zur Berechnung der Einfachstreufunktion des Aerosols. Dabei kommt entweder Mie-Theorie für kugelförmige Teilchen oder die semiempirische Theorie vonPollack & Cuzzi (1980) für nichtsphärische Teilchen zum Einsatz. Die Beiträge von Rayleigh-Streuung und Gasabsorbern werden zu den Aerosoleigenschaften hinzugefügt, um die optischen Parameter der Atmosphäre zu erhalten. Mit dem exakten Strahlungstransferprogramm vonNakajima & Tanaka (1988) wird die Himmelslichthelligkeit im Sonnenhorizontal berechnet. Mit variiertem Brechungsindex im Bereich von 1,31 für Eis bis 1,70 wird der gesamte Ablauf wiederholt. Aus der besten Übereinstimmung beim Vergleich von Messung und Berechnung mittels RMSD- Technik folgen der Realteil des Brechungsindex und die weiteren Aerosolparameter.
Ergebnisse
5. Die von Wendisch (1992) vorgeschlagene Methodik ist in ihrer Anwendung auf Teilchengrößen kleiner als etwa 2 µm sowie auf Messungen bei tiefstehender Sonne begrenzt. Da die AGV maritimer Aerosole von großen Teilchen dominiert wird, ist die bessere Berücksichtigung von Effekten großer Teilchen im CIRATRA-Ansatz wichtiges Arbeitsziel und Voraussetzung, um die Klimawirksamkeit maritimer Aerosole einschätzen zu können. Durch Hinzunahme von Streulichtdaten aus dem Aureolenbereich für Streuwinkel von 3 bis 12 zu dem bisher verwendeten Spektralverlauf der optischen Dicke des Aerosols von 350 nm bis 1200 nm Wellenlänge als zusätzliche Eingangsdaten für die Inversion der AGV lassen sich somit zuverlässige Ergebnisse im Grobpartikelbereich bis etwa 10 µm Teilchenradius erzielen. Da nur Streulichtdaten bis zu 12 Streuwinkel verwendet werden, ist der Einfluß der Teilchenform auf die Inversionsergebnisse extrem gering. Modelluntersuchungen verdeutlichen die Vorteile des in dieser Arbeit weiterentwickelten Inversionsverfahrens. Die Anpassung von LogNormal-Verteilungen an die diskret erhaltene AGV schafft die Vergleichbarkeit mit Modellvorstellungen.
6. In der Aureole müssen Effekte der Mehrfachstreuung berücksichtigt werden. Aus Vergleichen mit exakten Strahlungstransferrechnungen nach Nakajima & Tanaka (1988) konnte eine Parametrisierung abgeleitet werden, die hinreichend genau alle Mehrfachstreuprozesse in der Aureole berücksichtigt. Das bisher häufig eingesetzte Box-Deepak-Verfahren ist für Rayleighstreuung konzipiert und kann insbesondere bei höheren optischen Dicken und einem durch große Partikel verursachten starken Vorwärtsstreupeak nicht auf Aerosole angewendet werden.
7. Die Bestimmung der Aerosolparameter mittels CIRATRA ist bis zu etwa 45 Grad Sonnenhöhe zuverlässig. Bei höheren Sonnenständen geht die Information über die Teilchenform verloren, die Bestimmung des Brechungsindex wird unzuverlässig. Damit die Streufunktion weitgehend erfaßt wird, sollten die Messungen bevorzugt bei tiefstehender Sonne erfolgen.
8. Reale Aerosolteilchen sind häufig nichtkugelförmig. Für Aerosole mit einem merklichen Anteil großer Teilchen hat diese Tatsache wichtige Auswirkungen auf die Streueigenschaften. Die im Vergleich zur Mie-Rechnung deutlich erhöhte Seitwärtsstreuung kann nur durch die Nichtsphärizität der Partikel und nicht durch ungenaue Kenntnis der Erdbodenalbedo, Aerosolabsorption oder der atmosphärischen Schichtung verursacht sein. Deshalb werden existierende Methoden zur Berechnung der Streueigenschaften nichtsphärischer Partikel auf ihre Eignung zur Beschreibung gewonnener Meßergebnisse untersucht. Die semiempirische Theorie von Pollack & Cuzzi (1980) ist trotz ihrer unzureichenden theoretischen Begründung weiterhin als praktikabelste Möglichkeit zu empfehlen. Durch Änderungen am numerischen Verfahren ist nunmehr ein kontinuierlicher Übergang zur Mie-Theorie ermöglicht. Als Grenze zwischen Mie-Theorie und Parametrisierung im Verfahren von Pollack & Cuzzi (1980) wird jetzt ein Partikelradius anstelle des Größenparameters verwendet. Damit ist die Nichtsphärizität als Partikeleigenschaft an die Partikelgröße gebunden, und eine Übertragung der Streueigenschaften auf andere Wellen längen ist sinnvoll möglich. Durchgeführte Berechnungen für Spheroide nach Mishchenko (1991) zeigen eine Wellenstruktur, die experimentell nicht bestätigt wird. Andere Methoden erfassen derzeit noch nicht den notwendigen Größenbereich atmosphärischer Aerosole.
9. In advektierten maritimen Luftmassen über dem Kontinent wurden bereits von Wendisch (1992) Effekte nichtkugelförmiger Aerosolteilchen beobachtet. Durch gezielte Meßkampagnen in maritimer Umgebung konnte mit dieser Arbeit die Nichtsphärizität als Eigenschaft des maritimen Aerosols in seinem Ursprungsgebiet nachgewiesen werden. Sie tritt in verschieden starker Ausprägung auf. Für den Grad der Abweichungen von der Kugelform wurde ein Zusammenhang mit der mittleren relativen Feuchte f in der maritimen Grenzschicht gefunden, wie sie aus Radiosondendaten der Station Schleswig bestimmt wurde. Eine lineare Parametrisierung erfaßt diesen Zusammenhang anhand des Asymmetrieparameters g und liefert für maritime Luftmassen in Helgoland: g = 0,48 + 0,0031*f. Eine Fortsetzung der Messungen auf Helgoland ist wünschenswert, wobei zusätzlich das Vertikalprofil der relativen Feuchte direkt am Meßort und zum Meßzeitpunkt durch lokale Radiosondierungen bestimmt wird. Auch in advektierten maritimen Luftmassen über dem Kontinent in Leipzig konnten weitere Situationen mit nichtsphärischen Streueigenschaften untersucht werden.
10. Die unter Berücksichtigung der Nichtsphärizität ermittelten Aerosolparameter sind Basis für die statistische Charakterisierung von zwei typischen Aerosolsituationen. Einerseits beschreibt die typische Situation „Helgoland maritim“ die Eigenschaften maritimen Aerosols über dem Meer. Infolge der Nichtsphärizität der Teilchen beträgt dort der mittlere Asymmetrieparameter g bei 870 nm Wellenlänge 0,71 statt 0,78. Andererseits charakterisiert die typische Situation „advektiv maritim“ die Verhältnisse in advektierten maritimen Luftmassen über dem Kontinent. Dort sind nichtsphärische Effekte noch stärker zu beobachten. Sie bewirken einen mittleren Asymmetrieparameter von 0,59 statt 0,73 bei 870 nm. Diese Verringerung des Asym metrieparameters bedeutet einen erhöhten Anteil in den Weltraum zurückgestreuter Sonnen strahlung. Bisherige Modellvorstellungen für maritimes Aerosol wie d’Almeida et al. (1991) oder GADS (Global Aerosol Data Set) von Schult & Koepke (1995) weichen mit g(870nm)=0,82 recht erheblich von der Realität ab. Hauptgrund für die Diskrepanzen ist die fehlende Berücksichtigung der Nichtsphärizität. Die Ergebnisse dieser Arbeit und zukünftige Untersuchungen auf der Grundlage des verbesserten CIRATRA-Ansatzes können zur Validierung von GADS dienen.
11. Die Anwendung der Methodik auf verschiedene Aerosoltypen ergab die Gültigkeit der Mie-Theorie für kontinentales Aerosol und vulkanisches Aerosol in der Stratosphäre Posse & von Hoyningen-Huene, 1995b) nach dem Ausbruch des Pinatubo. Bei Wüstenaerosol und im vorgestellten Beispiel einer dünnen homogenen Wolke Posse & von Hoyningen-Huene, 1995) sind nichtkugelförmige Teilchen zur Erklärung der optischen Eigenschaften erforderlich.
12. Zur Bestimmung der Klimawirksamkeit von Aerosolen und speziell zur Einschätzung von Effekten der Teilchenform auf den Strahlungshaushalt wurde ein spektral hochaufgelöstes Strahlungsbilanzmodell (546 Wellenlängen zwischen 350 nm und 4000 nm) entwickelt. Ausgehend von den experimentell bestimmten und mit CIRATRA ermittelten Aerosolparametern ist damit die Berechnung globaler und zonaler Jahresmittelwerte der Strahlungsbilanz möglich.
13. Maritimes Aerosol bewirkt eine Verringerung der Strahlungsbilanz, hat also einen abkühlenden Effekt. Die Nichtsphärizität der Aerosolpartikel erhöht die Wirksamkeit der Aerosole im Strahlungstransfer, d.h. die Nichtkugelform bewirkt einen zusätzlichen abkühlenden Effekt. Der aus den Helgoländer Meßergebnissen (mittlere optische Dicke bei 1000 nm =0,12 und Spektralabfall =0,13) abgeleitete Aerosoleffekt auf die Strahlungsbilanz bei wolkenlosem Himmel beträgt im globalen Jahresmittel -8,2 Wm-2 bei Berücksichtigung der Nichtsphärizität gegenüber -6,6 Wm-2 bei Annahme kugelförmiger Teilchen. In advektierten maritimen Luftmas sen erhöht sich der Aerosoleffekt infolge der Nichtsphärizität von -6,7 Wm-2 auf -9,8 Wm-2. Die mittlere optische Dicke ist dabei bei 1000 nm =0,08 und der Spektralabfall =0,57.
14. Der Einfluß der Nichtsphärizität ist von der geographischen Breite abhängig und in den Tropen am größten. Daher kommt der Untersuchung des im Ferntransport über dem Atlantik befindlichen Wüstenaerosols ebenfalls große Bedeutung zu. Auch bei hoher Bodenalbedo und für absorbierende Aerosole bewirkt Nichtsphärizität stets eine Verringerung der Strahlungsbilanz.
15. Aus dem Vergleich gemessener Momentanwerte der Globalstrahlung im wolkenlosen Fall und entsprechenden Berechnungen mit dem neu entwickelten Strahlungsbilanzmodell läßt sich die Einfachstreualbedo des Aerosols und damit seine Absorption abschätzen. Eine Genau igkeit sowohl der Messung als auch der Modellrechnung von ±1 Wm-2 ist wünschenswert. Der Imaginärteil des Brechungsindex ist damit prinzipiell auf ±0,001 bestimmbar. Der Unsicherheits bereich nimmt mit wachsendem Imaginärteil deutlich zu infolge des nichtlinearen Zusammenhanges mit den resultierenden Strahlungseffekten. Spektral aufgelöste Globalstrahlungsdaten umgehen Probleme durch nicht hinreichend genau bekannte Gasabsorber und erlauben zudem die Bestimmung der spektralen Absorptionscharakteristika des Aerosols.
16. Die gewonnenen Phasenfunktionen und Eigenschaften des maritimen Aerosols können zur Präzisierung der Aussagen über den direkten Effekt der Aerosole auf die Strahlungsbilanz und zur Verbesserung von Algorithmen der Atmosphärenkorrektur bei der Auswertung von Satellitenmessungen (MOS, GOME, Meteosat) dienen.
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